Verjährung von Urlaubsansprüchen? Bundesarbeitsgericht fragt Europäischen Gerichtshof!

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 29. September 2020 - 9 AZR 266/20 (A)-

Zur Klärung der Frage, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach §§ 194 ff. BGB der Verjährung unterliegt, hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet. Dies gab das Bundesarbeitsgericht in Karlsruhe im Rahmen einer Pressemitteilung vom 29.09.2020 bekannt.

Sachverhalt

Die Klägerin war vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 bei dem Beklagten als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beschäftigt. Sie hatte im Kalenderjahr Anspruch auf 24 Arbeitstage Erholungsurlaub. Mit Schreiben vom 1. März 2012 bescheinigte der Beklagte der Klägerin, dass der "Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Kalenderjahr 2011 sowie den Vorjahren" am 31. März 2012 nicht verfalle, weil sie ihren Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwandes in seiner Kanzlei nicht habe antreten können.

In den Jahren 2012 bis 2017 gewährte der Beklagte der Klägerin an insgesamt 95 Arbeitstagen Urlaub. Mit der am 6. Februar 2018 erhobenen Klage hat die Klägerin die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren verlangt. Im Verlauf des Prozesses hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben. Er hat geltend gemacht, für die Urlaubsansprüche, deren Abgeltung die Klägerin verlange, sei die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelaufen.

LAG Düsseldorf

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat der Klage - soweit diese Gegenstand der Revison des Beklagten ist - stattgegeben. Es hat den Beklagten zur Abgeltung von 76 Urlaubstagen aus den Jahren 2013 bis 2016 verurteilt.

Bundesarbeitsgericht

Für den Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts ist es entscheidungserheblich, ob die nicht erfüllten Urlaubsansprüche der Klägerin aus dem Jahr 2014 und den Vorjahren bei Klageerhebung bereits verjährt waren. Die Urlaubsansprüche konnten nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen. Bei unionsrechtskonformer Auslegung dieser Vorschrift erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen, und ihn darauf hingewiesen hat, dass dieser andernfalls verfallen kann. Diese Obliegenheiten hat der Beklagte nicht erfüllt.

Europäischer Gerichtshof

Vor diesem Hintergrund hat der Senat den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung über die Frage ersucht, ob es mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Einklang steht, wenn der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht bereits nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen konnte, gemäß § 194 Abs. 1, § 195 BGB der Verjährung unterliegt.

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COVID-19: Was Sie jetzt über Insolvenzantrag, Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung in der Coronakrise wissen müssen...

Bis Ende des Jahres 2020 sollen wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie überschuldete Unternehmen von der Insolvenzantragspflicht befreit werden, wie das Bundeskabinett jetzt mitgeteilt hat. Die seit 01.03.2020 geltenden Erleichterungen für Unternehmen in der Krise werden damit aber nur zum Teil verlängert. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für coronabedingt zahlungsunfähige Unternehmen endet mit Ablauf des 30.09.2020. Damit Sie als Unternehmer nicht die wirtschaftliche Existenz Ihres Unternehmens gefährden und der persönlichen Haftung sowie einer eventuellen Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung entgehen, gibt es jetzt Einiges zu beachten. Wichtig ist, zunächst zu erkennen, ob Ihr Unternehmen insolvenzreif ist.

Insolvenzreife

Insolvenzreife kann bestehen, wenn ein Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet ist.

Zahlungsunfähigkeit

Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn das Unternehmen nicht mehr in der Lage ist, zumindest 90 % der fälligen und ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten zu erfüllen. Davon ist in der Regel auszugehen, wenn es seine Zahlungen eingestellt hat. Eine bloße Zahlungsstockung kann nur dann vorliegen, wenn der Schuldner kurzfristig - innerhalb von nicht mehr als drei Wochen imstande ist, sich die erforderlichen liquiden Mittel zu beschaffen, um die fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen. Ob lediglich eine Zahlungsstockung oder schon eine - für die Geschäftsleitung des Unternehmens potentiell haftungsträchtige und strafrechtlich gefährliche Insolvenzreife vorliegt, hängt von einer individuellen Detailprüfung ab.

Typische - jedoch nicht abschließende - Indizien der durch eine Zahlungseinstellung vermittelten Zahlungsunfähigkeit sind:

  • Zahlungsrückstände bei wichtigen Gläubigern / Lieferanten

  • Die Nichtzahlung von Löhnen, Gehältern, und Sozialversicherungsbeiträgen

  • Das Nichtabführen von Steuern trotz Strafbewehrheit

  • vermehrte Rücklastschriften

  • Zwangsvollstreckungen / Vorliegen von Vollstreckungsanträgen

  • Anträge zur Abgabe der Vermögensauskunft

  • Haftbefehle wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft

Bei juristischen Personen bildet auch die Überschuldung grundsätzlich einen Insolvenzgrund, der die Insolvenzantragspflicht auslösen kann.

Überschuldung

Überschuldung ist anzunehmen, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Neben der rechnerischen bzw. bilanziellen Überschuldung ist die Frage einer positiven oder negativen Fortführungsprognose für die Beurteilung des Insolvenzgrundes der Überschuldung maßgeblich. Eine Insolvenzantragspflicht liegt trotz rechnerischer Überschuldung dann nicht vor, wenn eine positive Fortführungsprognose für das Unternehmen gestellt werden kann. Dies muss allerdings das schuldnerische Unternehmen selbst bzw. dessen Leitungsorgan im Streitfall beweisen.

Grundsätzlich sollten Geschäftsführer einer GmbH, einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG) oder Vorstände einer AG bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung möglichst unverzüglich Insolvenzantrag stellen, um eine verschärfte persönliche Haftung zu vermeiden. Spätestens drei Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrunds muss der Insovenzantrag zwingend gestellt werden. Dadurch könnten die verantwortlichen Organe häufig die Gefahr der Strafbarkeit vermeiden.

Insbesondere im Falle der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit sollten Sie jetzt, spätestens aber mit Ablauf des Monats September 2020, aktiv werden. Wichtig ist, zunächst zu erkennen, ob Sie überhaupt verpflichtet sind, einen Insolvenzantrag zu stellen.

Antragspflicht bei Personengesellschaften?

Bei Personengesellschaften wie der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR bzw. BGB-Gesellschaft), der oHG (offene Handelsgesellschaft), der KG (Kommanditgesellschaft) oder bei Einzelunternehmern gilt: rechtlich besteht keine Verpflichtung, Insolvenzantrag zu stellen – erlaubt und möglich ist die Insolvenzantragstellung aber grundsätzlich, wenn das Unternehmen (drohend) zahlungsunfähig oder (bei justitischen Personen) überschuldet ist.

Antragspflicht bei Kapitalgesellschaften!

Soll oder muss (bei Kapitalgesellschaften) ein Insolvenzantrag gestellt werden, ist es äußerst wichtig, darauf zu achten, dass der Insolvenzantrag formal korrekt und in zulässiger Form gestellt wird. Denn eine fehlerhafte Antragsstellung führt häufig dazu, dass der Insolvenzantrag letztlich unzulässig und damit ungültig bzw. wirkungslos ist. Der Insolvenzantrag gilt dann rechtlich als überhaupt nicht gestellt. In solchen Fällen können bei bestehender Insolvenzantragspflicht die beschriebenen Rechtsfolgen, wie etwa eine Insolvenzverschleppung, eintreten. Daher ist es überaus wichtig, einen Insolvenzantrag gewissenhaft – erforderlichenfalls mit Hilfe eines Spezialisten – vorzubereiten oder ihn zumindest vorher anwaltlich prüfen zu lassen. Häufig kann ein Insolvenzantrag mit Hilfe des Know-Hows von Sanierungsexperten sogar noch vermieden werden.

Vermeidung des Insolvenzantrags!

Zur Vermeidung eines Insolvenzantrags können Schuldner mit ihren Gläubigern z.B. Stundungs- oder Ratenzahlungsvereinbarungen treffen. Durch diese verschiebt sich die Fälligkeit der Forderungen. Dafür ist jedoch zu Beweiszwecken dringend empfehlenswert, derartige Vereinbarungen schriftlich zu schließen. Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarungen unterliegen grundsätzlich keiner besonderen Form, notfalls genügt bereits eine Bestätigung der jeweiligen Gläubigers per E-Mail. Eine weitere Möglichkeit zur Abwendung der Insolvenz ist beispielsweise die Inanspruchnahme staatlicher Überbrückungs- und Betriebsmittelkredite - etwa über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder die Investitionsbank Berlin (ibb), die eigene Corona - Förderprogramme und Coronahilfen anbieten. Auch bei der Inanspruchnahme von Hilfen und der Beantragung von Krediten empfiehlt es sich, erfahrene Sanierungsexperten einzuschalten, um den Betrieb nicht als Ganzes zu gefährden oder die eigene Haftung oder Strafbarkeit zu riskieren.

Insolvenzantrag und dann...?

Sofern der Insolvenzantrag letztlich nicht zu vermeiden ist, bestimmt das Insolvenzgericht in aller Regel bei laufendem Betrieb einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Dieser meldet sich normalerweise bereits innerhalb eines Tages beim Unternehmen und wird die weiteren Schritte mit der Unternehmensführung abstimmen. Auch in dieser Phase sollten Sie sich von spezialisierten Anwälten beraten lassen.

Das Ziel eines jeden Insolvenzverfahrens ist es zunächst, den schuldnerischen Betrieb fortzuführen und das Unternehmen zu sanieren. Insbesondere im vorläufigen Insolvenzverfahren ist die einstweilige Betriebsfortführung mit Hilfe des Insolvenzgeldes fast immer möglich.

Zu allen Fragen rund um die Insolvenzantragstellung und zu den Möglichkeiten einer Vermeidung der Insolvenz beraten Sie unsere Berliner Sanierungsexperten im Bedarfsfall gerne jederzeit. Auch in der Phase der vorläufigen Insolvenzverwaltung und im eröffneten Verfahren beraten wir die schuldnerischen Geschäftsführer und Vorstände. Nehmen Sie gerne jederzeit Kontakt zu uns auf.

COVID-19 Pandemie: Kurzarbeitergeld auch für UG-Geschäftsführer

SG Speyer, Urteil vom 31.7.2020 - S 1 AL 134/20

Auch für Geschäftsführer einer haftungsbeschränkten Unternehmensgesellschaft (UG) kann grundsätzlich Kurzarbeitergeld gewährt werden. Das hat zuletzt das Sozialgericht Speyer entschieden und die Entscheidung im Rahmen einer Pressemitteilung veröffentlicht.

Sachverhalt:

Das SG Speyer hatte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Gewährung von Kurzarbeitergeld für einen UG-Geschäftsführer eines Tourismus- und Sportunternehmens zu entscheiden. Das Unternehmen war aufgrund der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht. Die Antragsgegnerin vertrat die Auffassung, Kurzarbeitergeld könne für den Geschäftsführer der UG nicht gewährt werden. Dieser leite schließlich die Geschicke des Unternehmens. Es sei dabei gerade seine Aufgabe, neue Kunden zu finden und Kurzarbeit zu vermeiden.

Das SG Speyer hat dem Antrag im Wege der einstweiligen Anordnung stattgegeben. Ob dies auch für GmbH-Geschäftsführer gilt, hat das SG Speyer nicht entschieden. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Gründe:

Das Gericht sah keine Anhaltspunkte dafür, dass der UG-Geschäftsführer nicht in einem die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis stand. Da die Antragstellerin im Wesentlichen ihren Unternehmenszweck auf die Durchführung von Reisen und Schülerbeförderung verlegt hatte, stehe zu befürchten, dass durch die Nichtzahlung von Kurzarbeitergeld das Arbeitsverhältnis mit dem Geschäftsführer gelöst werden müsste und damit Arbeitslosigkeit einträte. Dies widerspreche aber der gesetzlichen Intention, die insbesondere durch das Gesetz zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld vom 13.3.2020 erreicht werden sollte, möglichst viele Arbeitnehmer durch die Gewährung von Kurzarbeitergeld in einem Beschäftigungsverhältnis zu halten.

Bei allen weiteren Fragen rund um das Thema Kurzarbeit und weiteren arbeitsrechtlichen Themen ohne oder im Zusammenhang mit der Corona-Krise beraten unsere Experten Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen. Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.

Landgericht Berlin: Räumungfristen im Mietrecht und Prüfungsumfang der Gerichte

Landgericht Berlin, Beschluss vom 23.06.2020 - 67 T 57/20 -

Hat ein Gericht über die Verlängerung einer Räumungsfrist nach Kündigung zu entscheiden, so muss es auch Feststellungen zum Bemühen des Mieters zur Beschaffung von Ersatzwohnraum treffen. Die Versagung einer Räumungsfristverlängerung ist nur dann möglich, wenn Ersatz­wohnraum­ innerhalb der ursprünglichen Frist bei hinreichend intensiver Suche tatsächlich nicht beschafft werden konnte. Dies hat das Landgericht Berlin entschieden.

1. Instanz: Amtsgericht Spandau

Im Rahmen eines Räumungsprozesses vor dem Amtsgericht Spandau (Berlin) war der Mieterin eine Räumungsfrist bis zum 31. Juli 2020 eingeräumt worden. Die Mieterin beantragte jedoch später die Verlängerung der Frist. Sie behauptete, es trotz intensiver Bemühungen nicht geschafft zu haben, Ersatzwohnraum zu beschaffen. Sie argumentierte mit ihrer gesundheitliche Beeinträchtigung und der Corona-Pandemie. Das Amtsgericht wies den Antrag auf Fristverlängerung zurück. Dagegen richtete sich die Beschwerde der Mieterin.

Beschwerde beim Landgericht Berlin

Das Landgericht Berlin entschied zu Gunsten der Mieterin. Das Amtsgericht hätte den Vortrag der Mieterin berücksichtigen und erforderlichenfalls nach Durchführung einer Beweisaufnahme Feststellungen dazu treffen müssen, ob der Mieterin auch bei hinreichend intensiver Suche tatsächlich die Anmietung von Ersatzwohnraum bis zum Ablauf der Räumungsfrist unmöglich war. Da dies aber unterblieben war, hat das Landgericht Berlin der Beschwerde der Mieterin stattgegeben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Spandau zurückverwiesen.

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BGH: Nachweis der Erforderlichkeit der Inanspruchnahme des Kommanditisten bei Insolvenz der KG

BGH, Urteil vom 21.7.2020 - II ZR 175/19 -

Der Kommanditist kann gegen seine Inanspruchnahme entsprechend § 428, § 362 Abs. 1 BGB einwenden, dass durch Zahlungen anderer Kommanditisten der zur Deckung der von der Haftung erfassten Gesellschaftsschulden nötige Betrag bereits aufgebracht wurde. Die Erforderlichkeit der Inanspruchnahme des Kommanditisten ist nicht allein davon abhängig, ob diese Gesellschaftsschulden aus der aktuell zur Verfügung stehenden Insolvenzmasse gedeckt werden können. Dies hat der BGH in einer Leitsatzentscheidung erkannt.

Sachverhalt

Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer Schiffsfondsgesellschaft in der Rechtsform einer KG (im Folgenden: Schuldnerin). Über deren Vermögen wurde im Februar 2013 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Beklagte ist mit einer Einlage von 50.000 € als Kommanditistin an der Schuldnerin beteiligt. Sie erhielt in den Jahren 2005 bis 2007 nicht durch Einlagen gedeckte Ausschüttungen in Höhe von insgesamt 18.500 €. Im Rahmen eines Sanierungsprogramms zahlte die Beklagte 7.500 € an die Schuldnerin zurück. Der Kläger verlangt von der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der teilweisen Rückgewähr der geleisteten Kommanditeinlange die noch offene Differenz i.H.v. 11.000 €.

Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Die Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass die eingeklagten 11.000 € zur Gläubigerbefriedigung nicht erforderlich seien. Das Bestreiten der ordnungsgemäßen Abrechnung durch die Beklagte sei unbeachtlich. Soweit der Kläger Gerichtskosten und Rechtsanwaltsvergütungen aus der Masse bezahlt habe, sei auch dies unerheblich. Insoweit könne zu diskutieren sein, ob der Insolvenzmasse fiktiv Beträge hinzugerechnet werden müssten. Dies weil die Gesellschafter nicht für sämtliche Masseverbindlichkeiten und nicht für die Verfahrenskosten hafteten. Soweit dem Insolvenzverwalter vorgeworfen werde, er habe es versäumt, Sondermassen zu bilden, könne dies nur in einem Haftungsprozess gegen den Insolvenzverwalter nach Abschluss des Insolvenzverfahrens geklärt werden.

Der BGH hat nun der Revision stattgegeben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Entscheidungsgründe

Rechtsfehlerhaft sei die Annahme des Berufungsgerichts, für die Inanspruchnahme der Beklagten gemäß § 171 Abs. 2 HGB durch den Insolvenzverwalter sei es unerheblich, ob die Forderungen, für die die Kommanditisten haften, bereits durch Zahlungen anderer Gesellschafter der Höhe nach gedeckt sind. Dem Kommanditisten stehe ggü. dem Insolvenzverwalter der Einwand zu, dass das von ihm Geforderte zur Tilgung der Gesellschaftsschulden, für die er haftet, nicht erforderlich ist.

Die Darlegungs- und Beweislast hierfür habe der in Anspruch genommene Gesellschafter. Jedoch habe der Insolvenzverwalter die für die Befriedigung der Gläubiger bedeutsamen Verhältnisse der Gesellschaft darzulegen, sofern nur er dazu im Stande ist.

Die Höhe der bis zur letzten mündlichen Verhandlung eingegangenen Rückzahlungen der Kommanditisten sei ein für die Gläubigerbefriedigung bedeutsamer Umstand, dessen Darlegung typischerweise nur dem Insolvenzverwalter möglich sei. Der Kommanditist könne gegen seine Inanspruchnahme entsprechend § 422 Abs. 1 Satz 1, § 362 Abs. 1 BGB einwenden, dass durch Zahlungen anderer Kommanditisten der zur Deckung der von der Haftung erfassten Gesellschaftsschulden nötige Betrag bereits aufgebracht sei.

Ebenso, wie den Gesellschaftern innerhalb und außerhalb des Insolvenzverfahrens die Wirkungen eines Vergleichs zu Gute kommen, könnten diese sich entsprechend § 422 Abs. 1 Satz 1 BGB darauf berufen, das zur Befriedigung der Gläubiger ihrerseits Erforderliche getan zu haben. Die Gesellschafter haften für die Gläubigerforderungen untereinander als Gesamtschuldner. Die Kommanditisten haften nach § 171 Abs. 1 Halbsatz 1, § 161 Abs. 2, § 128 Satz 1 HGB jeweils beschränkt auf die (wiederaufgelebte) Haftsumme.

Das Berufungsurteil war vom BGH danach aufzuheben und die Sache, da sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

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Bundesregierung beschließt Gesetzentwurf zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens

Die Bundesregierung hat am 01.07.2020 den von der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Christine Lambrecht vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens beschlossen. Dies hat das BMJV im Rahmen einer Pressemitteilung bekannt gegeben.

Zum Hintergrund

Die Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz (EU-Richtlinie 2019/1023) schreibt vor, dass unternehmerisch tätige Personen Zugang zu einem Verfahren haben müssen, das es ihnen ermöglicht, sich innerhalb von drei Jahren zu entschulden. Die Richtlinie ist bis zum 17. Juli 2021 in nationales Recht umzusetzen.

Mit dem von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzentwurf werden die Richtlinienvorgaben zur Restschuldbefreiung umgesetzt, wonach das Verfahren nur noch drei Jahre statt bisher im Regelfall sechs Jahre dauern soll. Die Regelungen sollen nicht nur, wie von der Richtlinie vorgesehen, für unternehmerisch tätige Schuldner gelten, sondern, wie von der Richtlinie empfohlen, auch für Verbraucherinnen und Verbraucher. Anders als bislang soll es dabei künftig für die Restschuldbefreiung nicht mehr erforderlich sein, dass die Schuldnerinnen und Schuldner ihre Verbindlichkeiten in einer bestimmten Höhe tilgen. Allerdings müssen Schuldnerinnen und Schuldner auch weiterhin bestimmten Pflichten und Obliegenheiten nachkommen, um eine Restschuldbefreiung erlangen zu können, z.B. einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder sich um eine solche bemühen. Darüber hinaus werden die Schuldnerinnen und Schuldner in der sog. Wohlverhaltensphase stärker zur Herausgabe von erlangtem Vermögen herangezogen. Außerdem wird ein neuer Grund zur Versagung der Restschuldbefreiung geschaffen, wenn in der Wohlverhaltensphase unangemessene Verbindlichkeiten begründet werden.

Geltung und Inkrafttreten der Änderungen

Die Verfahrensverkürzung soll für Verbraucherinnen und Verbraucher zunächst bis zum 30. Juni 2025 befristet werden, um etwaige Auswirkungen auf das Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten von Verbraucherinnen und Verbraucher beurteilen zu können. Dazu soll die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag bis zum 30. Juni 2024 einen Bericht erstatten, um eine Entscheidungsgrundlage für eine etwaige Entfristung zu schaffen. Der Bericht soll auch auf etwaige Hindernisse eingehen, die von den bestehenden Möglichkeiten der Speicherung insolvenzbezogener Informationen durch Auskunfteien für einen wirtschaftlichen Neustart nach Restschuldbefreiung ausgehen.

Die Verkürzung des Verfahrens soll insgesamt nicht dazu führen, dass die Schuldnerin oder der Schuldner im Falle einer erneuten Verschuldung auch schneller zu einer zweiten Restschuldbefreiung kommen kann. Daher wird die derzeitige zehnjährige Sperrfrist auf elf Jahre erhöht und das Restschuldbefreiungsverfahren in Wiederholungsfällen auf fünf Jahre verlängert.

Die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf drei Jahre soll für alle Insolvenzverfahren gelten, die ab dem 1. Oktober 2020 beantragt werden. Damit können auch diejenigen Schuldnerinnen und Schuldnern bei einem wirtschaftlichen Neuanfang unterstützt werden, die durch die Covid-19-Pandemie in die Insolvenz geraten sind. Für Insolvenzverfahren, die ab dem 17. Dezember 2019 beantragt wurden, soll das derzeit sechsjährige Verfahren monatsweise verkürzt werden.

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BGH: Widerspruchsrecht des gekündigten Mieters nach § 574 BGB eingeschränkt

BGH, Urteil vom 01.07.2020 - VIII ZR 323/18 -

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 01.07.2020 (Az. VIII ZR 323/18) die Widerspruchsmöglichkeiten der Mieter gegen vermieterseitige Kündigungen eingeschränkt.

Urteil des Bundesgerichtshof

Der nach Widerspruch gegen eine ordentliche Kündigung unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB gegebene Anspruch des Mieters auf Fortsetzung des Mietverhältnisses ist nach § 574 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen, wenn ein Grund vorliegt, der den Vermieter zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigt. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Vermieter die außerordentliche Kündigung erklärt hat; es genügt, wenn dem Vermieter bei Zugang der ordentlichen Kündigung (auch) ein Recht zur fristlosen Kündigung zusteht.

Eine fristgerechte Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB, so der BGH weiter, ändere an dem Ausschluss des Fortsetzungsanspruchs des Mieters nichts, da sie einer ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung im Wege der gesetzlichen Fiktion lediglich rückwirkend deren Gestaltungswirkung nehme, nicht aber dazu führe, dass ein Grund für die fristlose Kündigung von vornherein nicht bestanden hätte.

Für eine teleologische Reduktion von § 574 Abs. 1 BGB dahin, dass das Widerspruchsrecht des Mieters mit fristgerechter Schonfristzahlung neu entstehe oder wiederauflebe, sei kein Raum, da es an einer hierfür notwendigen planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes, also einer verdeckten Regelungslücke, fehle.

Vorinstanz: Urteil des LG Berlin

Das Landgericht Berlin hatte in der Vorinstanz noch ein Widerspruchsrecht des Mieters angenommen und entschieden, dass sich das Mietverhältnis aufgrund einer nicht zu rechtfertigenden Härte auf unbestimmte Zeit verlängere.

Der Bundesgerichtshof aber stellt nun klar, dass dies nicht der Fall ist. Mit dem Widerspruchsrecht des Mieters wolle der Gesetzgeber zugunsten des Mieters aus sozialen Gründen unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit schaffen, nach einer an sich berechtigten Kündigung des Vermieters die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen zu können.  

Ein Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses stehe dem Mieter aber gerade nicht zu, wenn gravierende Vertragsstörungen eingetreten seien, die den Vermieter auch zur fristlosen Kündigung berechtigten.

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BAG zu Kündigungen des Cockpit-Personals von Air Berlin - Aussetzung wegen anhängiger Verfassungsbeschwerden

Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat am 13. Februar 2020 entschieden, dass die Kündigungen des Cockpit-Personals der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin vom 28. November 2017 wegen Fehlerhaftigkeit der Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam sind. Dies hatte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt schon am 13. Februar 2020 im Rahmen einer Pressemitteilung bekannt gegeben.

Der Kläger des vorliegenden Verfahrens war bei Air Berlin als Pilot mit Einsatzort Düsseldorf beschäftigt und wendet sich ebenfalls gegen eine Kündigung vom 28. November 2017. Der Senat sieht die Kündigung aus den im Urteil vom 13. Februar 2020 (6 AZR 146/19) genannten Gründen als unwirksam an. Er wäre aus seiner Sicht an einer Entscheidung auch nicht wegen einer Verpflichtung zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV gehindert.

Der beklagte Insolvenzverwalter hat jedoch, wie das BAG nunmehr ihm Rahmen einer weiteren Pressemitteilung vom 10. September 2020 bekannt gibt, zwischenzeitlich Verfassungsbeschwerden u.a. gegen die Entscheidungen des Senats vom 13. Februar 2020 erhoben. In Abwägung zwischen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und dem Beschleunigungsgebot sowie zur Wahrung der Funktionsfähigkeit des Verfahrens der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG hat der Senat die Verhandlung deshalb in entsprechender Anwendung von § 148 Abs. 1 ZPO bis zum 31. März 2022 ausgesetzt. Diese befristete Aussetzung berücksichtigt sowohl den Umstand, dass weitere Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen über die Wirksamkeit der Kündigungen vom 28. November 2017 die Entscheidungsgrundlage des Bundesverfassungsgerichts nicht verbreitern, als auch die Interessen beider Parteien des vorliegenden Rechtsstreits in angemessener Weise.

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Amtsgericht Berlin - Mitte: Kündigung trotz verhältnismäßig geringer Mietrückstände wirksam

AG Mitte, Urteil vom 04.09.2019 - 9 C 104/19

Bei der ordentlichen Kündigung eines Mietverhältnisses aufgrund von Zahlungsrückständen des Mieters kommt es auf den Vertragsverstoß als solchen, nicht aber auf die Höhe der Rückstände an. Dies hat das AG Berlin - Mitte vor wenigen Tagen entschieden.

Ständig wiederkehrende Mietrückstände

Ein Mieter, der seine Miete immer wieder verspätet zahlte und durch den Vermieter regelmäßig gemahnt werden musste, hatte auch für Februar und März 2019 keine Mietzahlungen geleistet. Daraufhin kündigte der Vermieter das Mietverhältnis fristlos und hilfsweise auch fristgemäß. Nach Ausspruch der Kündigung zahlte der Mieter die Mieten für Februar und März unverzüglich nach. Der Vermieter hielt dennoch weiter an seiner ordentlichen Kündigung fest und verlangte die Räumung der Wohnung sowie die Zahlung des von ihm berechneten weiteren Mietrückstandes i.H.v. ca. 1.200,00 Euro.

Das AG Berlin-Mitte hat dem Vermieter Recht gegeben und hierbei ausgeführt, es sei in der Rechtsprechung durch den klarstellenden Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20.07.2016 zwischenzeitlich geklärt, dass nur die fristlose Kündigung durch Zahlung des kompletten Mietrückstandes innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Räumungsklage nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB geheilt werden könne. Dies gelte aber nicht für die hier ebenfalls erklärte ordentliche Kündigung.

Der Beklagte wandte hiergegen ein, das Mietverhältnis bestehe schon seit sehr langer Zeit und der Betrag i.H.v. ca. 1.200 Euro sei nicht erheblich genug, um das langjährige Vertragsverhältnis ordentlich zu beenden.

Dem hat das AG Berlin-Mitte eine Absage erteilt und ausgeführt, es sei – auch nach der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH – im Mietverhältnis von gegenseitigen und zueinander gleichgeordneten vertraglichen Pflichten auszugehen: der Pflicht zur Gebrauchsüberlassung und derjenigen zur Mietzinszahlung. Es komme daher entscheidend auf den durch die ständigen Mietrückstände verwirklichten Vertragsverstoß als solchen, nicht aber auf die Höhe der Mietrückstände an.

Keine Heilung der Kündigung wegen betragsmäßig geringer Rückstände

Die Höhe der Mietrückstände sei kein maßgebliches Argument, das gegen die Wirksamkeit der hier gegenständlichen Kündigung spreche. Zwar sei im Einzelfall denkbar, dass die lange Dauer eines unbeanstandeten Mietverhältnisses zu einem anderen Ergebnis führe. Dies sei im Falle eines - wie hier - mehrfach und regelmäßig gemahnten Mieters indes nicht der Fall. Die Räumungsklage hatte daher letztlich Erfolg.

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Bundesfinanzhof: Keine coronabedingte Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen vor dem 19.03.2020

BFH, Beschluss vom 30. Juli 2020 - VII B 73/20 -

Zur Vermeidung unbilliger Härten gewährt die Finanzverwaltung Steuerpflichtigen, die von den Folgen der Corona-Pandemie besonders betroffen sind, verschiedene steuerliche Erleichterungen. Unter anderem soll unter bestimmten Voraussetzungen bis zum Ende des Jahres 2020 von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werden, wie das Bundesministerium der Finanzen (BMF) in seinem Schreiben vom 19.03.2020 festgelegt hat. Diese Verwaltungsanweisung erfasst allerdings nicht bereits vor dem 19.03.2020 ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzbehörden. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 30.07.2020 (VII B 73/20) in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren entschieden und nunmehr im Rahmen einer Pressemitteilung vorab veröffentlicht.

Im Streitfall hatte die Antragstellerin, ein in der EU ansässiges Unternehmen, erhebliche Steuerschulden, die bereits im Jahr 2019 festgesetzt worden waren. Aufgrund dieser Rückstände richtete jener EU-Mitgliedstaat ein Vollstreckungsersuchen an Deutschland. Das zuständige Finanzamt erließ daraufhin im Februar 2020 Pfändungs- und Einziehungsverfügungen gegen mehrere deutsche Banken, bei denen die Antragstellerin Konten unterhielt. Hiergegen wendete sich die Antragstellerin, und zwar u.a. mit dem Argument, aufgrund ihrer durch die Corona-Pandemie bedingten erheblichen Einnahmeausfälle müsse entsprechend dem BMF-Schreiben vom 19.03.2020 von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werden.

Dies sah der BFH anders. Im BMF-Schreiben sei von einem „Absehen“ von Vollstreckungsmaßnahmen die Rede. Das deute darauf hin, dass sich die Verschonungsregelung nur auf solche Vollstreckungsmaßnahmen beziehe, die noch nicht durchgeführt worden seien. Dem Wortlaut des Schreibens lasse sich jedenfalls nicht entnehmen, dass bereits vor dem 19.03.2020 ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen – wie von der Antragstellerin begehrt - wieder aufgehoben oder rückabgewickelt werden müssten.

Diese Erwägungen gelten auch für inländische Sachverhalte, in denen der Vollstreckungsschuldner in Deutschland ansässig und mit der Zahlung von deutschen Steuern säumig geworden ist.

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