BGH zur sittenwidrigen Schädigung der Gläubiger bei vorsätzlicher Insolvenzverschleppung

Bundesgerichtshof, Urteil vom 27 Juli 2021 - II ZR 164/20

Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, das als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfüllt den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung i.S.d. § 826 BGB, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird.

Der Schutzbereich einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung erfasst Personen, die vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit einer GmbH getreten sind und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet werden, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können.

Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) durch Urteil in einer Leitsatzentscheidung vom 27.07.2021 entschieden (Az.: BGH II ZR 164/20).

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Der Kläger beauftragte am 14. Januar 2015 die S. GmbH, deren Geschäftsführer der Beklagte war, mit Fassadenarbeiten. Nach Abschlagszahlungen in Höhe von 13.000 € und ergebnislosen Fristsetzungen zur Erbringung der Werkleistung kündigte der Kläger den Vertrag mit Schreiben vom 22. August 2016 und forderte unter Fristsetzung zum 29. August 2016 die Beseitigung mehrerer behaupteter Mängel sowie die Rückzahlung von 11.000 € entsprechend dem seiner Ansicht nach erreichten Leistungsstand. Die Aufforderung blieb ohne Ergebnis.
Mit Schriftsatz vom 30. August 2016 beantragte der Kläger ein selbständiges Beweisverfahren gegen die S. GmbH mit Beweisfragen zum Leistungsstand und dem darauf entfallenden Werklohn, zu behaupteten Mängeln der bislang erbrachten Werkleistungen und zu Gebäudeschäden.

Das Landgericht ordnete mit Beschluss vom 16. November 2016 eine sachverständige Begutachtung an. Am 5. Dezember 2016 erging gegen den Beklagten ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung. Den dagegen eingelegten Einspruch hat der Beklagte auf die Rechtsfolgen beschränkt. Nach Eigenantrag vom 14. Dezember 2016 wurde über das Vermögen der S. GmbH am 21. März 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Am 11. Mai 2017 erstattete der Sachverständige im selbständigen Beweisverfahren ein schriftliches Gutachten, in dem er eine Leistungserbringung von lediglich ca. 5 % (900 € einschließlich Umsatzsteuer) und Mängel feststellte, deren Beseitigungskosten er auf 6.400 € schätzte.

Mit Schreiben vom 9. Juni 2017 äußerte sich erstmals der Insolvenzverwalter der S. GmbH im selbständigen Beweisverfahren und gab bekannt, dass die Insolvenzmasse nicht in der Lage sei, Kosten für die Vergütung eines Sachverständigen zu tragen.
Der Kläger verlangt die Erstattung von Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens, die er mit 317 € angibt, Kosten der gerichtlich angeordneten Begutachtung durch den Sachverständigen, deren Höhe er mit 2.606,02 € beziffert, und Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.935,49 €. Daneben begehrt er die Feststellung, dass dem Zahlungsanspruch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung des Beklagten zugrunde liegt. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten.

Der BGH hat die Revision zurückgewiesen.

Aus den Gründen:

[Der] Schaden ist auch nach einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung nach § 826 BGB ersatzfähig. Der Schutzbereich einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung im Sinn des § 826 BGB erfasst darüber hinaus Personen, die vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit einer GmbH getreten sind und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet werden, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können.

In den Schutzbereich der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung können selbst zuvor mit der Gesellschaft vertraglich nicht gebundene Dritte einbezogen sein.

Ein Verhalten kann hinsichtlich der Herbeiführung bestimmter Schäden, insbesondere auch hinsichtlich der Schädigung bestimmter Personen, als sittlich anstößig zu werten sein, während ihm diese Qualifikation hinsichtlich anderer, wenn auch ebenfalls adäquat verursachter Schadensfolgen nicht zukommt. Die Ersatzpflicht beschränkt sich in einem solchen Fall auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen.

Ein solcher Schaden liegt vor, wenn eine Person vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit der GmbH getreten ist und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet wird, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen kann. Die Schädigung der Vertragspartner der Gesellschaft durch weitere im Vertragsverhältnis wurzelnde, aber wirtschaftlich unsinnige und ohne durchsetzbaren Erstattungsanspruch gegenüber der Gesellschaft bleibende Aufwendungen ist die zwangsläufige Folge der Insolvenzverschleppung und liegt auch unmittelbar in der Zielrichtung des sittenwidrigen Verhaltens, weil der Schädiger nur unter Inkaufnahme dieser Schäden die Insolvenz verschleppen kann.

Ob und inwieweit Strafbarkeits- und Haftungsrisiken im Einzelfall bestehen, sollte frühzeitig anwaltlich überprüft werden. Nehmen Sie hierzu gerne Kontakt zu uns auf.

Wissenswert: Insolvenzantragspflicht und Sanierung - nicht nur in Corona-Zeiten

Der Geschäftsführer einer GmbH, einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG) oder Vorstände einer AG sollten bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung möglichst unverzüglich Insolvenzantrag stellen, um eine verschärfte persönliche Haftung zu vermeiden. Spätestens drei Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrunds muss der Insovenzantrag zwingend gestellt werden. Dadurch könnten die verantwortlichen Organe häufig die eigenen Strafbarkeit vermeiden.

Antragspflicht bei Personengesellschaften?

Bei Personengesellschaften wie der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR bzw. BGB-Gesellschaft), der oHG (offene Handelsgesellschaft), der KG (Kommanditgesellschaft) oder bei Einzelunternehmern gilt: rechtlich besteht keine Verpflichtung, Insolvenzantrag zu stellen – erlaubt und möglich ist die Insolvenzantragstellung aber grundsätzlich, wenn das Unternehmen (drohend) zahlungsunfähig oder (bei justitischen Personen) überschuldet ist.

Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung

Zahlungsunfähigkeit liegt bereits dann vor, wenn das Unternehmen zehn Prozent seiner fälligen und ernstfach eingeforderten Verbindlichkeiten nicht innerhalb von drei Wochen bezahlen kann. Insolvenzrechtlich überschuldet ist ein Unternehmen, wenn eine bilanzielle Unterdeckung ausweist bzw. rechnerisch überschuldet ist und gleichzeitig keine positive Fortführungsprognose besteht.

Antragspflicht bei Kapitalgesellschaften!

Soll oder muss (bei Kapitalgesellschaften) ein Insolvenzantrag gestellt werden, ist es äußerst wichtig, darauf zu achten, dass der Insolvenzantrag formal korrekt und in zulässiger Form gestellt wird. Denn eine fehlerhafte Antragsstellung führt häufig dazu, dass der Insolvenzantrag letztlich unzulässig und damit ungültig bzw. wirkungslos ist. Der Insolvenzantrag gilt dann rechtlich als überhaupt nicht gestellt. In solchen Fällen können bei bestehender Insolvenzantragspflicht beschriebenen Rechtsfolgen, wie etwa eine Insolvenzverschleppung eintreten. Daher ist es überaus wichtig, einen Insolvenzantrag gewissenhaft – erforderlichenfalls mit Hilfe eines Spezialisten – vorzubereiten oder ihn zumindest vorher anwaltlich prüfen zu lassen. Häufig kann ein Insolvenzantrag mit Hilfe des Know-Hows von Sanierungsexperten sogar noch vermieden werden.

Vermeidung des Insolvenzantrags

Zur Vermeidung eines Insolvenzantrags können Schuldner mit ihren Gläubigern z.B. Stundungs- oder Ratenzahlungsvereinbarungen treffen. Durch diese verschiebt sich die Fälligkeit der Forderungen. Dafür ist jedoch zu Beweiszwecken dringend empfehlenswert, derartige Vereinbarungen schriftlich zu schließen. Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarungen unterliegen grundsätzlich keiner besonderen Form, notfalls genügt bereits eine Bestätigung der jeweiligen Gläubigers per E-Mail. EIne weitere Möglichkeit zur Abwendung der Insolvenz ist beispielsweise die Inanspruchnahme staatlicher Überbrückungs- und Betriebsmittelkredite. Auch bei der Beantragung von Krediten empfiehlt es sich, erfahrene Sanierungsexperten einzuschalten, um den Betrieb nicht als Ganzes zu gefährden oder die eigene Haftung oder Strafbarkeit zu riskieren.

Insolvenzantrag und dann...?

Sofern der Insolvenzantrag letztlich nicht zu vermeiden ist, bestimmt das Insolvenzgericht in aller Regel bei laufendem Betrieb einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Dieser meldet sich normalerweise bereits innerhalb eines Tages beim Unternehmen und wird die weiteren Schritte mit der Unternehmensführung abstimmen. Auch in dieser Phase sollten Sie sich von Sanierungsexperten beraten lassen.

Das Ziel eines jeden Insolvenzverfahrens ist es zunächst, den schuldnerischen Betrieb fortzuführen und das Unternehmen zu sanieren. Insbesondere im vorläufigen Insolvenzverfahren ist die einstweilige Betriebsfortführung mit Hilfe des Insolvenzgeldes fast immer möglich.

Zu allen Fragen rund um die Insolvenzantragstellung und zu den Möglichkeiten einer Vermeidung der Insolvenz beraten Sie unsere Sanierungsexperten im Bedarfsfall gerne jederzeit. Auch in der Phase der vorläufigen Insolvenzverwaltung und im eröffneten Verfahren beraten wir die schuldnerischen Geschäftsführer und Vorstände. Nehmen Sie gerne jederzeit Kontakt zu uns auf.

Sanierung in Coronazeiten: Schutzschirmverfahren, Eigenverwaltung und Insolvenzplan

Die Coronakrise hat sehr viele Unternehmen kurzfristig in eine Liquiditätskrise gestürzt. Ihnen droht – trotz aller Erleichterungen, die der Gesetzgeber geschaffen hat (zum Beispiel die zeitweise Aussetzung der Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO etc.) – die Zahlungsunfähigkeit und damit der Absturz in den finanziellen Abgrund. Neben diversen Förderungsmöglichkeiten (zum Beispiel über KfW – Darlehen und staatliche Zuschüsse) sollten Unternehmer auch die Möglichkeit, das Unternehmen über alternative Instrumente zu sanieren kennen und in Betracht ziehen.

Von der außergerichtlichen Sanierung, einem Insolvenzverfahren auch in Eigenverwaltung oder unter Nutzung des Schutzschirmverfahrens sowie einer übertragenden Sanierung sollten sämtliche Optionen individuell für Ihr Unternehmen geprüft werden.

Schutzschirmverfahren

Dabei stellt das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO eine besondere Form des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung nach § 270 InsO dar. Hierbei bestellt das Insolvenzgericht, anders als beim „normalen“ Regelinsolvenzverfahren, gerade keinen Insolvenzverwalter. Vielmehr bleibt die bisherige Geschäftsführung im Amts und behält die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Statt eines Insolvenzverwalters tritt ein so genannter Sachwalter auf, der der Geschäftsführung faktisch auf die Finger schaut. Ein großer Vorteil dieser Verfahrensart ist dabei, dass der Geschäftsführer die Person des Sachwalters in aller Regel selbst vorschlagen kann.

Ein wesentlicher Vorteil des Regelinsolvenzverfahrens existiert auch im Schutzschirmverfahren nach § 165 SGB III. Die Gesellschaft kann Insolvenzgeld vorfinanzieren lassen, wodurch kurzfristige Liquiditätsengpässe geschlossen werden und Personalkosten zeitweise drastisch reduziert werden können. Beim Insolvenzgeld (nicht zu verwechseln mit dem Kurzarbeitergeld nach § 95 SGB III) erhalten die Arbeitsnehmer ihr Gehalt für bis zu drei Monate von der Bundesagentur für Arbeit.

Im Rahmen des Schutzschirmverfahrens können die Beteiligten das Unternehmen also u. U. deutlich einfacher sanieren, als außerhalb eines Insolvenzverfahrens. So kann die Geschäftsleitung z.B. Personalmaßnahmen oder Vertragsanpassungen schneller bzw. effizienter sowie insgesamt kostengünstiger durchführen als unter normalen Umständen. Auch können erfahrere Sanierer das Unternehmen häufig schneller wieder wettbewerbs- und ertragsfähig gestalten. Das Unternehmen kann dann die Krise zügig überwinden.

Insolvenzplan

Der Insolvenzplan nach § 218 InsO besteht aus einem betriebswirtschaftlichen Sanierungskonzept und Regelungen zur unmittelbaren und konkreten finanzwirtschaftlichen Sanierung. Kernstück ist oft ein erheblicher Forderungsverzicht der Gläubiger (sogenannter „Haircut“). Die Regelungen des Insolvenzplans dürfen die Insolvenzgläubiger nicht schlechter stellen als sie im Falle des Regelinsolvenzverfahrens ständen.

Sobald - idealerweise - Sanierungsexperten den Insolvenzplan erstellt haben, werden sie diesen beim Insolvenzgericht einreichen. Einzelne Gläubigergruppen stimmen sodann über die Annahme des Insolvenzplans ab. Der Insolvenzplan tritt nach Annahme und Gerichtsbeschluss in Kraft.

Unsere Sanierungsexperten beraten Sie über die Möglichkeiten von übertragender Sanierung, Schutzschirmverfahren, der Eigenverwaltung und des Insolvenzplans im konkreten Einzelfall. Nehmen Sie gerne jederzeit Kontakt mit uns auf.

Insolvenz in Eigenverwaltung

In manchen Fällen ist ein Insolvenzantrag leider unumgänglich. Es gibt aber Gestaltungmöglichkeiten, durch die die Geschäftsführer und Vorstände nicht völlig das Heft des Handels aus der Hand geben müssen. Gemeint ist die Eigenverwaltung.

Auf ausdrücklichen Antrag des Schuldners wird das Insolvenzgericht in seinem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung anordnen. Für eine Anordnung der Eigenverwaltung dürfen allerdings keine Umstände bekannt sein, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Die bisherige Geschäftsführung bleibt in der Eigenverwaltung im Amt - ein Insolvenzverwalter wird gerade nicht bestellt.

Statt eines Insolvenzverwalters bestellt das Insolvenzgericht vielmehr einen sogenannten Sachwalter. Dieser überprüft die wirtschaftliche Lage des Schuldners und schaut der Geschäftsführung letztlich als Kontrollinstanz auf die Finger.

Der Sachwalter tritt anders als der Insolvenzverwalter gerade nicht an die Stelle des Unternehmens. In der Eigenverwaltung gelten gleichwohl (mit Ausnahme einzelner Besonderheiten) die Vorschriften der Insolvenzordnung, insbesondere wesentliche Regelungen zur erleichterten Sanierung des Unternehmens.

Ist der Antrag des Schuldners auf Anordnung der Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos, sieht das Gericht bereits im Eröffnungsverfahren regelmäßig davon ab, dem Unternehmen ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen oder etwa anzuordnen, dass alle Verfügungen des Unternehmens nur mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind.

In diesem Fall spricht man von einer „vorläufigen Eigenverwaltung“. Das Insolvenzgericht bestellt bereits keinen vorläufigen Insolvenzverwalter. Vielmehr setzt das Insolvenzgericht lediglich einen vorläufigen Sachwalter ein, der in den meisten Fällen eine beratende Kontrollfunktion ausübt. Die Geschäftsführung kann das Ruder des Unternehmens weiterhin in der Hand behalten.

Zu allen Fragen rund um das Thema Eigenverwaltung beraten Sie unsere Sanierungsexperten jederzeit kurzfristig. Nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf.

Corona, Insolvenz und Strafbarkeit

Im Zuge der Corona-Krise hat der Gesetzgeber das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVInsAG) beschlossen.

Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Mit diesem Gesetz wird die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags bei Zahlungsunfähigkeit vorübergehend ausgesetzt. Dies gilt für die Zeit von 01.03.2020 bis zunächst 30.09.2020. Der Gesetzgeber kann die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im Bedarfsfall aber bis zum 30.03.2021 verlängern. Das Gesetz soll vermeiden, dass eine große Zahl von Unternehmen durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie Insolvenzantrag stellen müssen. Für Unternehmen, die sich schon vor der Corona-Pandemie schon in einer wirtschaftlichen Krise befanden, gilt die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht jedoch nicht uneingeschränkt.

Sehr viele Unternehmen sind in kürzester Zeit in eine tiefe wirtschaftliche Krise geraten. Grund dafür ist der plötzliche Einbruch von Umsätzen, der Wegfall von Aufträgen und oft auch die Zahlungsunfähigkeit von Debitoren. Oft können Unternehmen ihre hohen Außenstände nicht mehr beitreiben. Das Unternehmen gerät unverschuldet in die wirtschaftliche Krise. Das Gesetz (§ 15a InsO) bestimmt grundsätzlich, wann der Geschäftsführer einer GmbH binnen kurzer Zeit Insolvenzantrag stellen muss. Dies ist der Fall, wenn das Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Bei Zahlungsunfähigkeit reichen die liquiden Mittel nicht aus, um die fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen. Bei Überschuldung decken die Aktiva die Passiva nicht und es besteht keine positive Fortführungsprognose. Der Geschäftsführer macht sich strafbar, wenn er nicht rechtzeitig Insolvenzantrag stellt. Auch für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife haftet der Geschäftsführer unter Umständen persönlich. Die Haftung erstreckt sich grundsätzlich auf das gesamte Vermögen.

Dieses Problem soll das neue Gesetz zeitweise, für den Zeitraum seit dem 01.03.2020 bis zunächst 30.09.2020, entschärfen. Voraussetzung ist, dass die Auswirkungen der Corona-Pandemie die Krise ausgelöst haben und Aussicht auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit besteht.
War das Unternehmen schon vor der Coronakrise zahlungsunfähig, gilt weiterhin die Pflicht zur kurzfristigen Stellung des Insolvenzantrags aus § 15a InsO.

Vorsicht: weiterhin strafrechtliche Risiken

War das Unternehmen am 31.12.2019 aber nicht zahlungsunfähig, wird widerlegbar vermutet, dass die Insolvenzreife auf die Auswirkungen der Corona - Pandemie zurückzuführen ist und Aussicht auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen. Es ist trotzdem Vorsicht geboten. Stellt im Falle einer späteren Insolvenz der Insolvenzverwalter fest, dass das Unternehmen doch schon am 31.12.2019 insolvenzreif war, haftet der Geschäftsführer trotzdem und hat sich unter Umständen auch strafbar gemacht.

Wenn erst die Corona-Pandemie die Krise und Zahlungsunfähigkeit ausgelöst hat, haftet der Geschäftsführer nicht für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife, soweit er diese im ordnungsgemäßen Geschäftsgang vornimmt. Dabei wird geprüft, ob die Zahlungen der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen.

Der Gesetzgeber verschafft den Unternehmen und deren Geschäftsführern damit ein wenig Luft, um eine große Welle von Insolvenzanträgen zu verhindern. Um Haftung und Strafbarkeit wegen verspäteter Stellung des Insolvenzantrags zu vermeiden, gibt es für Geschäftsführer aber weiterhin einige Dinge zu beachten, die eine anwaltliche Beratung erfordern. Dies gilt umso mehr, als trotz der teilweisen Aussetzung der Insolvenzantragspflicht weiterhin strafrechtliche Risiken drohen. So ist eine Strafbarkeit wegen des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB), Betrugs (§ 263 StGB) oder wegen Bankrotts (§§ 283 ff StGB) grundsätzlich weiterhin möglich, auch wenn im Einzelfall keine Insolvenzantragspflicht besteht.

Zu Einzelheiten und bei rechtlichen Fragestellungen nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf und vereinbaren einen Termin mit unseren Experten.

LAG Berlin-Brandenburg zum Einsatz von Detektiven durch den Arbeitgeber

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.09.2020 - Az: 9 Sa 584/20 -

Im Falle einer Beobachtung eines Arbeitnehmers durch Detektive an mehreren Tagen nebst Fertigung von Fotos ohne einen auf konkrete Tatsachen gegründeten Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung und ohne Ausschöpfung anderer verfügbarer Erkenntnisquellen vor Anordnung der Überwachung ergibt sich aus einer hierin liegenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot.

Im Falle einer solchen Beobachtung kann abhängig von den Umständen des Einzelfalls eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer unzumutbar im Sinne des § 9 Abs. 1 KSchG sein. Dies hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschieden.

Sachverhalt:

Die Parteien stritten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses und die Erstattung von Detektivkosten. Der Kläger war seit 1. Mai 1990 bei der Beklagten tätig, zuletzt als Vertriebsleiter. Der Kläger erhielt zuletzt ein Bruttoentgelt von 103.684,33 Euro.

1. Überwachung

Am 25. März 2019 beobachtete die Detektei T. im Auftrag der Beklagten den Kläger mit vier „Sachbearbeitern“ beginnend an dessen Wohnhaus in D. Nach dem Beobachtungsbericht verließ der Kläger sein Wohnhaus um 10.01 Uhr mit seinem Firmenwagen, fuhr nach Gera, stellte das Fahrzeug ab, ging durch die Stadtmitte, suchte in einem Einkaufszentrum eine Toilette auf, machte ein Foto von einer Baustelle des Campus G.-Gymnasium, fuhr nach N., hielt dort in der T.-M.-Straße an, ohne das Auto zu verlassen, nahm in N. in einer Fleischerei eine Mahlzeit zu sich, fuhr weiter durch Bad K. und kam um 15.44 Uhr wieder an seiner Wohnung in D. an und verlies diese nicht mehr. Nach dem Bericht wurden keine geschäftlichen Aktivitäten durchgeführt.

Am 3. April 2019 reichte der Kläger seine Reisekostenabrechnung für den März 2019 bei der Beklagten ein. Für den 25. März 2019 ist hier angegeben: Beginn 7:00 Uhr, Ende 18:30 Uhr, Anzahl Stunden abwesend 11:30, Zweck der Reise: Baustellenbesuche Gera, N., Leune, steuerfreier Pauschbetrag 2,40 Euro, Verpflegung 4,50 Euro.

2. Überwachung

Auch am 2. April 2019 beobachtete die Detektei T. im Auftrag der Beklagten den Kläger mit vier „Sachbearbeitern“ beginnend an dessen Wohnhaus in D. Nach dem Beobachtungsbericht verließ zunächst die Ehefrau des Klägers das Haus und wurde von Mitarbeitern der Detektei bei ihrer Fahrt mit dem Firmenwagen und dem Aufsuchen einer Fußpflegepraxis beobachtet, hierzu wurden Fotos erstellt. Der Kläger verließ nach dem Beobachtungsbericht das Haus mit dem Firmenwagen um 11.58 Uhr, tätigte in der Folgezeit diverse Einkäufe (Fahrradschuhe, Kartoffeln, Bier), entlud Altglas, betankte und reinigte den Wagen, betrat um 13.14 Uhr die Metzgerei E. Sch. Fleischerei & Feinkost GmbH in D., bestellte sich an der Theke ein Essen und verzehrte dieses vor Ort.

Am 7. Mai 2019 reichte der Kläger seine Reisekostenabrechnung für den April 2019 bei der Beklagten ein. Für den 2. April 2019 ist hier angegeben: Beginn 8:00 Uhr, Ende 17:30 Uhr, Anzahl Stunden abwesend 9:30, Zweck der Reise: Finsterwalde Projektbesprechung, steuerfreier Pauschbetrag 2,40, Verpflegung 5,30.

Anhörung und Kündigung

Der Geschäftsführer hörte den Beklagten daraufhin an.

Mit Schreiben vom 13. Mai 2019, dem Kläger übergeben am selben Tag, erklärte die Beklagte die außerordentliche, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Das LAG hat sowohl die fristlose als auch die ordentliche Kündigung für unzulässig erachtet, das Arbeitsverhältnis auf entsprechenden Antrag des gekündigten Arbeitnehmers wegen Unzumutbarkeit aufgelöst und diesem eine Abfindung in Höhe von 31.925,66 € zugesprochen.

Zu den wesentlichen Gründen:

Es sei davon auszugehen, dass in den Angaben des Klägers für den 2. April 2020 in der Reisekostenabrechnung eine erhebliche Pflichtverletzung liegt, wie sich aus einem Abgleich dieser Angaben und den Feststellungen der Detektei T. aufgrund der Überwachung des Klägers ergebe.

Unzulässigkeit der Überwachung

Das Observieren eines Arbeitnehmers durch einen - bzw. mehrere - Detektive sei eine Form der Datenerhebung, in der zugleich ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht liege. Dieser müsse einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten.

Dieser verlangt, dass der Eingriff geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht.

Die Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung dürfe daher keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen. Danach müsse im Falle einer der (verdeckten) Videoüberwachung vergleichbar eingriffsintensiven Maßnahme zur Aufklärung einer schwerwiegenden Pflichtverletzung ein auf konkrete Tatsachen gegründeter Verdacht für das Vorliegen einer solchen Pflichtverletzung bestehen. Eine verdeckte Ermittlung „ins Blaue hinein“, ob ein Arbeitnehmer sich pflichtwidrig verhält, sei unzulässig.

Die Feststellungen der Detektei T. und der Sachvortrag der Beklagten, der diese Feststellungen wiedergibt, seien damit nicht verwertbar.Soweit Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten vorlägen, rechtfertigten diese die vorliegende Kündigung - ohne vorherige Abmahnung - im Übrigen nicht.

Auflösungsantrag zulässig

Die erfolgte Überwachung des Klägers durch eine Detektei stelle eine erhebliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers dar, die die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar mache. Zwar sei die Überwachung im öffentlichen Raum und zu üblichen Arbeitszeiten erfolgt. Gleichwohl stelle eine durchgehende Überwachung durch vier Mitarbeiter einer Detektei einschließlich der Überwachung seiner Ehefrau unter Erstellung zahlreicher Fotos u.a. beim Mittagessen eine erhebliche Verletzung von Persönlichkeitsrechten dar. Eine solche sei an sich ausreichend, eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu begründen. Darüber hinaus bestehe die Gefahr, dass sich ein betroffener Arbeitnehmer nach einem solchen Vorgehen bei jedem Schritt, ggf. auch in der Pause heimlich beobachtet fühlt. Auch dies mache diesem die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Arbeitsgericht hat das Arbeitsverhätnis mit dem Arbeitnehmer, der bereits eine neue Beschäftigung aufgenommen hatte, auf dessen Antrag daher aufgelöst und ihm die besagte Abfindung zugesprochen.

Bei sämtlichen Fragestellungen zu Kündigungen, Insolvenzrecht und anderen rechtlichen Problemfeldern auch im Zusammenhang mit der Corona-Krise beraten unsere anwaltlichen Experten aus Berlin Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Unternehmen, Unternehmer sowie Verbraucher gleichermaßen. Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.

ArbG Stuttgart: Rechtswirksamkeit einer Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit

ArbG Stuttgart, Urteil vom 22.10.2020, Az: 11 Ca 2950/20

Eine fristlose Änderungskündigung mit dem Ziel, eine Einführung von Kurzarbeit zu ermöglichen, kann im Einzelfall als betriebsbedingte, außerordentliche Änderungskündigung nach § 626 BGB gerechtfertigt sein.

Die Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesarbeitsgerichts zur reinen Entgeltreduzierung durch Änderungskündigung sind auf eine Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit nicht übertragbar.

Leitsatzentscheidung des ArbG Stuttgart

Dies hat das Arbeitsgericht Stuttgart in einer Leitsatzentscheidung erkannt. Die mit der Entscheidung befasste Kammer geht in dem zugrunde liegenden Fall davon aus, dass auch die Voraussetzungen einer fristlosen Änderungskündigung im Falle der beabsichtigten Einführung von Kurzarbeit gegeben sein können. Dafür spreche zunächst die Überlegung, dass ein Verweis auf längere Kündigungsfristen und damit die ordentliche Kündigung bei der Einführung von Kurzarbeit aufgrund drohendem Zeitablauf für den Arbeitgeber zu einer nicht möglichen sinnvollen Nutzung der Regelungsinstrumentarien der Kurzarbeit führen kann.

Fristlose Änderungskündigung aufgrund der Corona-Krise

Dies gelte unter anderem in der Corona-bedingten Situation, bei der die Schließung von Einrichtungen des Arbeitgebers ohne längere Ankündigung (und damit ohne Planbarkeit) - wie im entschiedenen Fall - vollzogen wurde und dies sich unvorhersehbar kurzfristig auf den Arbeitsbedarf ausgewirkt hat. Würde man dies anders sehen, wäre im Ergebnis bei Verweigerung einzelner Arbeitnehmer die Einführungsmöglichkeit von Kurzarbeit gerade bei längeren Kündigungsfristen (sinnvoll) ausgeschlossen, obwohl die Kurzarbeit primär den Zweck ja hat, einen Arbeitsplätzeabbau zu verhindern. Auch ein Vergleich mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur fristlosen Änderungskündigung bei vereinbartem Ausschluss einer ordentlichen Kündigung (hierzu etwa BAG vom 02.03.2006 – 2 AZR 64/05) bestätige dieses Ergebnis nach Ansicht der erkennenden Kammer des Arbeitsgerichts Stuttgart.

In diesem Bereich seien zu Recht erhöhte Anforderungen, insbesondere was vorherig zumutbare Maßnahmen angeht, anzunehmen, da der Arbeitgeber hier – autonom – eine vertragliche Verpflichtung selbst eingegangen ist und damit auch ein erhöhtes Risiko, was in der vom Arbeitsgericht Stuttgart entscheidenen Konstellation gerade nicht der Fall sei.

Bei allen weiteren Fragen rund um das Thema Kurzarbeit und weiteren arbeitsrechtlichen Themen ohne oder im Zusammenhang mit der Corona Krise beraten unsere Experten Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen. Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.

Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei der Vergütung? Bundesarbeitsgericht fragt Europäischen Gerichtshof!

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11. November 2020 - 10 AZR 185/20 (A) -

Tarifvertragliche Bestimmungen, die eine zusätzliche Vergütung davon abhängig machen, dass dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, ohne zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten zu unterscheiden, werfen Fragen nach der Auslegung von Unionsrecht auf. Diese Fragen müssen, wie das Bundesarbeitsgericht in einer Pressemitteilung vom 11.11.2020 bekannt gegeben hat, durch ein Vorabentscheidungsersuchen geklärt werden, das der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts an den Gerichtshof der Europäischen Union richtet.

Die Beklagte ist ein Luftfahrtunternehmen. Der Kläger ist bei ihr als Flugzeugführer und Erster Offizier in Teilzeit beschäftigt. Seine Arbeitszeit ist auf 90 % der Vollarbeitszeit verringert. Er erhält eine um 10 % ermäßigte Grundvergütung. Nach den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträgen erhält ein Arbeitnehmer eine über die Grundvergütung hinausgehende Mehrflugdienststundenvergütung, wenn er eine bestimmte Zahl von Flugdienststunden im Monat geleistet und damit die Grenzen für die erhöhte Vergütung überschritten („ausgelöst“) hat. Die sog. Auslösegrenzen gelten einheitlich für Arbeitnehmer in Teilzeit und in Vollzeit.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger von der Beklagten für die erbrachten Mehrflugdienststunden eine höhere als die bereits geleistete Vergütung. Er ist der Auffassung, die tariflichen Bestimmungen seien unwirksam. Sie behandelten Teilzeitbeschäftigte schlechter als Arbeitnehmer in Vollzeit. Ein sachlicher Grund bestehe dafür nicht. Die Auslösegrenzen seien entsprechend seinem Teilzeitanteil abzusenken. Die Beklagte hält die Tarifnormen für wirksam. Die Vergütung für Mehrflugdienststunden diene dazu, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen. Sie bestehe erst, wenn die tariflichen Auslösegrenzen überschritten seien.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union, Fragen nach der Auslegung der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG zu beantworten.

Vorlagefragen des BAG

1. Ist für die Prüfung, ob Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden, weil eine zusätzliche Vergütung davon abhängt, dass eine einheitlich geltende Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, auf die Gesamtvergütung und nicht auf den Entgeltbestandteil der zusätzlichen Vergütung abzustellen?

2. Kann eine mögliche schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten gerechtfertigt werden, wenn mit der zusätzlichen Vergütung der Zweck verfolgt wird, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen?

Wie der Europaische Gerichtshof entscheiden wird, bleibt abzuwarten. Wir informieren Sie zu gegebener Zeit in unseren "News".

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Insolvenzreife von Unternehmen: Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung

Insolvenzreife kann bestehen, wenn ein Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet ist.

Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn das Unternehmen nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Davon ist in der Regel auszugehen, wenn es seine Zahlungen eingestellt hat. Nur vorübergehende Zahlungsstockungen sind dagegen kein Insolvenzgrund. Eine bloße Zahlungsstockung kann nur dann vorliegen, wenn der Schuldner kurzfristig - innerhalb von nicht mehr als drei Wochen imstande ist, sich die erforderlichen liquiden Mittel zu beschaffen, um die fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen. Ob lediglich eine Zahlungsstockung oder schon eine - für die Geschäftsleitung des Unternehmens potentiell haftungsträchtige und strafrechtlich gefährliche Insolvenzreife vorliegt, muss von Einzelfall zu EInzelfall beurteilt werden.

Typische - jedoch nicht abschließende - Indizien der durch eine Zahlungseinstellung vermittelten Zahlungsunfähigkeit sind:

  • Zahlungsrückstände bei wichtigen Gläubigern / Lieferanten

  • Die Nichtzahlung von Löhnen, Gehältern, und Sozialversicherungsbeiträgen

  • Das Nichtabführen von Steuern trotz Strafbewehrheit

  • vermehrte Rücklastschriften

  • Zwangsvollstreckungen / Vorliegen von Vollstreckungsanträgen

  • Anträge zur Abgabe der Vermögensauskunft

  • Haftbefehle wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft

Bei juristischen Personen bildet auch die Überschuldung grundsätzlich einen Insolvenzgrund, der die Insolvenzantragspflicht auslösen kann.

Überschuldung ist anzunehmen, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Neben der rechnerischen bzw. bilanziellen Überschuldung ist die Frage einer positiven oder negativen Fortführungsprognose für die Beurteilung des Insolvenzgrundes der Überschuldung maßgeblich. Eine Insolvenzantragspflicht liegt trotz rechnerischer Überschuldung dann nicht vor, wenn eine positive Fortführungsprognose für das Unternehmen gestellt werden kann. Dies muss allerdings das schuldnerische Unternehmen selbst bzw. dessen Leitungsorgan im Streitfall beweisen.

Für alle Fragen rund um die Insolvenzgründe der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung stehen Ihnen unsere in Berlin ansässigen Anwälte gerne jederzeit zur Verfügung.

OVG Münster: Kein Anspruch des Arbeitnehmers auf vorzeitige Beendigung eines Sabbaticals wegen Corona

Oberverwaltungsgericht Münster, Beschluss vom 24.07.2020 - Az. 6 B 925/20 -

Eine Lehrerin beantragte gegenüber Ihrem Dienstgeber die Beendigung Ihres Sabbatjahres. Dies mit der Begründung, die Freistellung sei wegen der Belastung durch die Pandemie entwertet worden. Ihre geplante Weltreise könne sie wegen der COVID-19-bedingten Reisebeschränkungen gerade nicht durch führen. Der Antrag wird abgelehnt.

Die Lehrerin bemühte den einstweiligen Rechtschutz und drang mit ihrem Antrag vor dem Verwaltungsgericht nicht durch. Gegen die Ablehnung legte die Lehrerin vor dem Oberverwaltungsgericht Münster Beschwerde ein. Allerdings ohne Erfolg, denn das OVG wies die Beschwerde als unbegründet zurück:

Es liege kein besonderer Härtefall vor, der eine vorzeitige Beendigung des Sabbatjahres rechtfertigte. Auch dann nicht, wenn die Antragstellerin ihre Weltreise nicht wie geplant fortsetzen könne. Wie anderen Bürgern sei es auch Lehrkräften in Freistellungsphasen zumutbar, ihre privaten Lebensverhältnisse an den coronabedingten Einschränkungen auszurichten.

Das OVG führt hierzu aus:

Die mit der Beschwerde erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Erfolglos beanstandet die Antragstellerin, der Antragsgegner selbst habe entgegenstehende dienstliche Belange nicht konkret vorgetragen, sondern sie seien durch das Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit dem Erlass des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 13. Mai 2020 „nur (nachträglich) konstruiert worden“.

Damit lässt sie außer Acht, dass es ihr obliegt, die Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs darzulegen und glaubhaft zu machen, wofür das Vorbringen offensichtlich nicht genügt, der Antragsgegner habe keine entgegenstehenden dienstlichen Belange vorgetragen.

Schließlich dringt die Antragstellerin nicht mit dem Vorbringen durch, sie habe zumindest Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren Rückkehrwunsch. Hierzu verweist sie auf den Erlass des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 13. Mai 2020. Dies überzeugt schon deshalb nicht, weil danach im Einzelfall zum Schuljahr 2020/2021 Anträgen auf Rückabwicklung der Teilzeit oder Verschiebung des vorgesehenen Freistellungsjahrs stattgegeben werden kann, wenn daran auch ein dienstliches Interesse besteht. Eine Rückkehr zu Beginn des Schuljahres 2020/2021 hat die Antragstellerin nicht beantragt.

Die Behauptung, der Erlass belege, dass der Antragsgegner selbst von der Unzumutbarkeit eines „Sabbatjahres“, mithin der Fortsetzung der Teilzeitbeschäftigung, überzeugt sei, trifft im Übrigen nicht zu. Die mit dem Erlass daneben geregelte Situation, in der der Beginn des Freistellungsjahrs noch ansteht und sich beide Seiten auf dessen Verschiebung einstellen können, ist vorliegend nicht gegeben. Daher überzeugt auch der Vergleich mit einer erst im August 2020 in das sogenannte "Sabbatjahr" eintretenden Kollegin nicht, der man die Verschiebung gestattet habe.

Der Antragstellerin wurden die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt.

Bei sämtlichen arbeits- und dienstrechtlichen Fragestellungen sowie anderen rechtlichen Problemfeldern auch im Zusammenhang mit der Corona-Krise beraten unsere anwaltlichen Experten aus Berlin Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Unternehmen, Unternehmer sowie Verbraucher gleichermaßen. Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.