BGH zur sittenwidrigen Schädigung der Gläubiger bei vorsätzlicher Insolvenzverschleppung

Bundesgerichtshof, Urteil vom 27 Juli 2021 - II ZR 164/20

Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, das als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfüllt den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung i.S.d. § 826 BGB, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird.

Der Schutzbereich einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung erfasst Personen, die vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit einer GmbH getreten sind und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet werden, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können.

Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) durch Urteil in einer Leitsatzentscheidung vom 27.07.2021 entschieden (Az.: BGH II ZR 164/20).

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Der Kläger beauftragte am 14. Januar 2015 die S. GmbH, deren Geschäftsführer der Beklagte war, mit Fassadenarbeiten. Nach Abschlagszahlungen in Höhe von 13.000 € und ergebnislosen Fristsetzungen zur Erbringung der Werkleistung kündigte der Kläger den Vertrag mit Schreiben vom 22. August 2016 und forderte unter Fristsetzung zum 29. August 2016 die Beseitigung mehrerer behaupteter Mängel sowie die Rückzahlung von 11.000 € entsprechend dem seiner Ansicht nach erreichten Leistungsstand. Die Aufforderung blieb ohne Ergebnis.
Mit Schriftsatz vom 30. August 2016 beantragte der Kläger ein selbständiges Beweisverfahren gegen die S. GmbH mit Beweisfragen zum Leistungsstand und dem darauf entfallenden Werklohn, zu behaupteten Mängeln der bislang erbrachten Werkleistungen und zu Gebäudeschäden.

Das Landgericht ordnete mit Beschluss vom 16. November 2016 eine sachverständige Begutachtung an. Am 5. Dezember 2016 erging gegen den Beklagten ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung. Den dagegen eingelegten Einspruch hat der Beklagte auf die Rechtsfolgen beschränkt. Nach Eigenantrag vom 14. Dezember 2016 wurde über das Vermögen der S. GmbH am 21. März 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Am 11. Mai 2017 erstattete der Sachverständige im selbständigen Beweisverfahren ein schriftliches Gutachten, in dem er eine Leistungserbringung von lediglich ca. 5 % (900 € einschließlich Umsatzsteuer) und Mängel feststellte, deren Beseitigungskosten er auf 6.400 € schätzte.

Mit Schreiben vom 9. Juni 2017 äußerte sich erstmals der Insolvenzverwalter der S. GmbH im selbständigen Beweisverfahren und gab bekannt, dass die Insolvenzmasse nicht in der Lage sei, Kosten für die Vergütung eines Sachverständigen zu tragen.
Der Kläger verlangt die Erstattung von Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens, die er mit 317 € angibt, Kosten der gerichtlich angeordneten Begutachtung durch den Sachverständigen, deren Höhe er mit 2.606,02 € beziffert, und Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.935,49 €. Daneben begehrt er die Feststellung, dass dem Zahlungsanspruch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung des Beklagten zugrunde liegt. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten.

Der BGH hat die Revision zurückgewiesen.

Aus den Gründen:

[Der] Schaden ist auch nach einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung nach § 826 BGB ersatzfähig. Der Schutzbereich einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung im Sinn des § 826 BGB erfasst darüber hinaus Personen, die vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit einer GmbH getreten sind und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet werden, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können.

In den Schutzbereich der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung können selbst zuvor mit der Gesellschaft vertraglich nicht gebundene Dritte einbezogen sein.

Ein Verhalten kann hinsichtlich der Herbeiführung bestimmter Schäden, insbesondere auch hinsichtlich der Schädigung bestimmter Personen, als sittlich anstößig zu werten sein, während ihm diese Qualifikation hinsichtlich anderer, wenn auch ebenfalls adäquat verursachter Schadensfolgen nicht zukommt. Die Ersatzpflicht beschränkt sich in einem solchen Fall auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen.

Ein solcher Schaden liegt vor, wenn eine Person vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit der GmbH getreten ist und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet wird, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen kann. Die Schädigung der Vertragspartner der Gesellschaft durch weitere im Vertragsverhältnis wurzelnde, aber wirtschaftlich unsinnige und ohne durchsetzbaren Erstattungsanspruch gegenüber der Gesellschaft bleibende Aufwendungen ist die zwangsläufige Folge der Insolvenzverschleppung und liegt auch unmittelbar in der Zielrichtung des sittenwidrigen Verhaltens, weil der Schädiger nur unter Inkaufnahme dieser Schäden die Insolvenz verschleppen kann.

Ob und inwieweit Strafbarkeits- und Haftungsrisiken im Einzelfall bestehen, sollte frühzeitig anwaltlich überprüft werden. Nehmen Sie hierzu gerne Kontakt zu uns auf.

Zur Haftung der Kommanditisten

OLG Hamm, Urteil vom 11.06.2018 - I-8 U 124/17

Die Durchsetzung von Außenhaftung gegen Kommanditisten setzt voraus, dass Forderungen von Insolvenzgläubigern mindestens in Höhe des geltend gemachten Haftungsbetrags bestehen.

Ein darüber hinaus in Anspruch genommener Kommanditist muss allerdings belegen, dass der vorhandene Bestand der Masse genügt, um nach Abzug der Masseverbindlichkeiten sämtliche angemeldeten Insolvenzforderungen zu befriedigen. Bei dieser Betrachtung sind nicht nur die festgestellten, sondern sämtliche angemeldeten Insolvenzforderungen zu berücksichtigen, auch die bestrittenen. Denn auch auf Letztere bezieht sich die Einziehungsermächtigung des Insolvenzverwalters (BGH, Urt. v. 17.12.2015, IX ZR 143/13, BGHZ 208, 227-242). Bestehen Forderungen in derartiger Höhe nicht, ist die Inanspruchnahme des Kommanditisten auch nicht zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich.

Auch für den Fall vorliegender Masseunzulänglichkeit (das Vermögen deckt die Kosten des Insolvenzverfahrens nicht) kann eine Haftung des Kommanditisten nach dem Urteil des OLG Hamm ausscheiden. Dritte dürfen den Kommanditisten für die Verfahrenskosten und Masseverbindlichkeiten nicht persönlich in Anspruch nehmen.

Die Gesellschafter haften grundsätzlich nicht persönlich für die Kosten des Insolvenzverfahrens und die vom Verwalter in diesem Verfahren begründeten Masseverbindlichkeiten.

Den vollständigen Urteilstext finden Sie hier.

Steuerersparnis bei Uneinbringlichkeit privater Darlehensforderungen

Darlehensgeber können den Ausfall privater Darlehensforderungen mit Anzeige der Masseunzulänglichkeit im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Darlehensnehmers steuerlich berücksichtigen lassen. Dies hat das Finanzgericht Düsseldorf für bestimmte Einzelfälle mit Urteil vom 18.07.2018 nunmehr klargestellt.

Der Kläger gewährte dem späteren Insolvenzschuldner im August 2010 ein verzinsliches Privatdarlehen über rund 24.000,00 Euro. Ab August 2011 erbrachte der Darlehensnehmer keine Tilgungsleistungen mehr. Das zuständige Insolvenzgericht hat im Jahr 2012 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Darlehensnehmers eröffnet.

Der Kläger meldete daraufhin die offene Darlehensvaluta in Höhe von rund 19.000,00 Euro zur Insolvenztabelle an. Der Insolvenzverwalter zeigte im Oktober 2012 gegenüber dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit an. Im Jahr 2016 wurde das Insolvenzverfahren schließlich eingestellt.

Der Kläger machte den Forderungsausfall aus dem Privatdarlehen in seiner Einkommensteuererklärung für 2012 geltend. Das beklagte Finanzamt vertrat jedoch - ebenso wie zunächst das Finanzgericht Düsseldorf - die Auffassung, dass es den Verlust aus dem notleidenden Darlehen nicht steuermindernd bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigen könne.

Nach daraufhin erfolgter Zurückverweisung durch den Bundesfinanzhof hat das FG Düsseldorf der Klage nunmehr stattgegeben. Es hat entschieden, dass der Verlust der Kapitalforderung bereits im Jahr 2012 berücksichtigt werden könne. Es sei nämlich mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit im Jahr 2012 bereits klar gewesen, dass die Insolvenzgläubiger nach Einschätzung des Insolvenzverwalters keine Quotenzahlungen mehr auf ihre Forderungen erhalten würden. Aus diesem Grund komme es auf den weiteren Fortgang des Verfahrens und etwaige Änderungen der Vermögenslage der Insolvenzmasse bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht mehr an.

Den vollständigen Urteilstext finden Sie hier.