LAG Berlin-Brandenburg zum Einsatz von Detektiven durch den Arbeitgeber

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.09.2020 - Az: 9 Sa 584/20 -

Im Falle einer Beobachtung eines Arbeitnehmers durch Detektive an mehreren Tagen nebst Fertigung von Fotos ohne einen auf konkrete Tatsachen gegründeten Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung und ohne Ausschöpfung anderer verfügbarer Erkenntnisquellen vor Anordnung der Überwachung ergibt sich aus einer hierin liegenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot.

Im Falle einer solchen Beobachtung kann abhängig von den Umständen des Einzelfalls eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer unzumutbar im Sinne des § 9 Abs. 1 KSchG sein. Dies hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschieden.

Sachverhalt:

Die Parteien stritten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses und die Erstattung von Detektivkosten. Der Kläger war seit 1. Mai 1990 bei der Beklagten tätig, zuletzt als Vertriebsleiter. Der Kläger erhielt zuletzt ein Bruttoentgelt von 103.684,33 Euro.

1. Überwachung

Am 25. März 2019 beobachtete die Detektei T. im Auftrag der Beklagten den Kläger mit vier „Sachbearbeitern“ beginnend an dessen Wohnhaus in D. Nach dem Beobachtungsbericht verließ der Kläger sein Wohnhaus um 10.01 Uhr mit seinem Firmenwagen, fuhr nach Gera, stellte das Fahrzeug ab, ging durch die Stadtmitte, suchte in einem Einkaufszentrum eine Toilette auf, machte ein Foto von einer Baustelle des Campus G.-Gymnasium, fuhr nach N., hielt dort in der T.-M.-Straße an, ohne das Auto zu verlassen, nahm in N. in einer Fleischerei eine Mahlzeit zu sich, fuhr weiter durch Bad K. und kam um 15.44 Uhr wieder an seiner Wohnung in D. an und verlies diese nicht mehr. Nach dem Bericht wurden keine geschäftlichen Aktivitäten durchgeführt.

Am 3. April 2019 reichte der Kläger seine Reisekostenabrechnung für den März 2019 bei der Beklagten ein. Für den 25. März 2019 ist hier angegeben: Beginn 7:00 Uhr, Ende 18:30 Uhr, Anzahl Stunden abwesend 11:30, Zweck der Reise: Baustellenbesuche Gera, N., Leune, steuerfreier Pauschbetrag 2,40 Euro, Verpflegung 4,50 Euro.

2. Überwachung

Auch am 2. April 2019 beobachtete die Detektei T. im Auftrag der Beklagten den Kläger mit vier „Sachbearbeitern“ beginnend an dessen Wohnhaus in D. Nach dem Beobachtungsbericht verließ zunächst die Ehefrau des Klägers das Haus und wurde von Mitarbeitern der Detektei bei ihrer Fahrt mit dem Firmenwagen und dem Aufsuchen einer Fußpflegepraxis beobachtet, hierzu wurden Fotos erstellt. Der Kläger verließ nach dem Beobachtungsbericht das Haus mit dem Firmenwagen um 11.58 Uhr, tätigte in der Folgezeit diverse Einkäufe (Fahrradschuhe, Kartoffeln, Bier), entlud Altglas, betankte und reinigte den Wagen, betrat um 13.14 Uhr die Metzgerei E. Sch. Fleischerei & Feinkost GmbH in D., bestellte sich an der Theke ein Essen und verzehrte dieses vor Ort.

Am 7. Mai 2019 reichte der Kläger seine Reisekostenabrechnung für den April 2019 bei der Beklagten ein. Für den 2. April 2019 ist hier angegeben: Beginn 8:00 Uhr, Ende 17:30 Uhr, Anzahl Stunden abwesend 9:30, Zweck der Reise: Finsterwalde Projektbesprechung, steuerfreier Pauschbetrag 2,40, Verpflegung 5,30.

Anhörung und Kündigung

Der Geschäftsführer hörte den Beklagten daraufhin an.

Mit Schreiben vom 13. Mai 2019, dem Kläger übergeben am selben Tag, erklärte die Beklagte die außerordentliche, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Das LAG hat sowohl die fristlose als auch die ordentliche Kündigung für unzulässig erachtet, das Arbeitsverhältnis auf entsprechenden Antrag des gekündigten Arbeitnehmers wegen Unzumutbarkeit aufgelöst und diesem eine Abfindung in Höhe von 31.925,66 € zugesprochen.

Zu den wesentlichen Gründen:

Es sei davon auszugehen, dass in den Angaben des Klägers für den 2. April 2020 in der Reisekostenabrechnung eine erhebliche Pflichtverletzung liegt, wie sich aus einem Abgleich dieser Angaben und den Feststellungen der Detektei T. aufgrund der Überwachung des Klägers ergebe.

Unzulässigkeit der Überwachung

Das Observieren eines Arbeitnehmers durch einen - bzw. mehrere - Detektive sei eine Form der Datenerhebung, in der zugleich ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht liege. Dieser müsse einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten.

Dieser verlangt, dass der Eingriff geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht.

Die Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung dürfe daher keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen. Danach müsse im Falle einer der (verdeckten) Videoüberwachung vergleichbar eingriffsintensiven Maßnahme zur Aufklärung einer schwerwiegenden Pflichtverletzung ein auf konkrete Tatsachen gegründeter Verdacht für das Vorliegen einer solchen Pflichtverletzung bestehen. Eine verdeckte Ermittlung „ins Blaue hinein“, ob ein Arbeitnehmer sich pflichtwidrig verhält, sei unzulässig.

Die Feststellungen der Detektei T. und der Sachvortrag der Beklagten, der diese Feststellungen wiedergibt, seien damit nicht verwertbar.Soweit Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten vorlägen, rechtfertigten diese die vorliegende Kündigung - ohne vorherige Abmahnung - im Übrigen nicht.

Auflösungsantrag zulässig

Die erfolgte Überwachung des Klägers durch eine Detektei stelle eine erhebliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers dar, die die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar mache. Zwar sei die Überwachung im öffentlichen Raum und zu üblichen Arbeitszeiten erfolgt. Gleichwohl stelle eine durchgehende Überwachung durch vier Mitarbeiter einer Detektei einschließlich der Überwachung seiner Ehefrau unter Erstellung zahlreicher Fotos u.a. beim Mittagessen eine erhebliche Verletzung von Persönlichkeitsrechten dar. Eine solche sei an sich ausreichend, eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu begründen. Darüber hinaus bestehe die Gefahr, dass sich ein betroffener Arbeitnehmer nach einem solchen Vorgehen bei jedem Schritt, ggf. auch in der Pause heimlich beobachtet fühlt. Auch dies mache diesem die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Arbeitsgericht hat das Arbeitsverhätnis mit dem Arbeitnehmer, der bereits eine neue Beschäftigung aufgenommen hatte, auf dessen Antrag daher aufgelöst und ihm die besagte Abfindung zugesprochen.

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Verjährung von Urlaubsansprüchen? Bundesarbeitsgericht fragt Europäischen Gerichtshof!

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 29. September 2020 - 9 AZR 266/20 (A)-

Zur Klärung der Frage, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach §§ 194 ff. BGB der Verjährung unterliegt, hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet. Dies gab das Bundesarbeitsgericht in Karlsruhe im Rahmen einer Pressemitteilung vom 29.09.2020 bekannt.

Sachverhalt

Die Klägerin war vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 bei dem Beklagten als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beschäftigt. Sie hatte im Kalenderjahr Anspruch auf 24 Arbeitstage Erholungsurlaub. Mit Schreiben vom 1. März 2012 bescheinigte der Beklagte der Klägerin, dass der "Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Kalenderjahr 2011 sowie den Vorjahren" am 31. März 2012 nicht verfalle, weil sie ihren Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwandes in seiner Kanzlei nicht habe antreten können.

In den Jahren 2012 bis 2017 gewährte der Beklagte der Klägerin an insgesamt 95 Arbeitstagen Urlaub. Mit der am 6. Februar 2018 erhobenen Klage hat die Klägerin die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren verlangt. Im Verlauf des Prozesses hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben. Er hat geltend gemacht, für die Urlaubsansprüche, deren Abgeltung die Klägerin verlange, sei die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelaufen.

LAG Düsseldorf

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat der Klage - soweit diese Gegenstand der Revison des Beklagten ist - stattgegeben. Es hat den Beklagten zur Abgeltung von 76 Urlaubstagen aus den Jahren 2013 bis 2016 verurteilt.

Bundesarbeitsgericht

Für den Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts ist es entscheidungserheblich, ob die nicht erfüllten Urlaubsansprüche der Klägerin aus dem Jahr 2014 und den Vorjahren bei Klageerhebung bereits verjährt waren. Die Urlaubsansprüche konnten nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen. Bei unionsrechtskonformer Auslegung dieser Vorschrift erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen, und ihn darauf hingewiesen hat, dass dieser andernfalls verfallen kann. Diese Obliegenheiten hat der Beklagte nicht erfüllt.

Europäischer Gerichtshof

Vor diesem Hintergrund hat der Senat den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung über die Frage ersucht, ob es mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Einklang steht, wenn der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht bereits nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen konnte, gemäß § 194 Abs. 1, § 195 BGB der Verjährung unterliegt.

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